Seit exakt 26 Tagen ist das neue Präsidium der Österreichischen Ärztekammer im Amt. Bei einer Pressekonferenz in Wien skizzierten ÖÄK-Präsident Johannes Steinhart sowie die Bundeskurienobmänner der angestellten bzw. niedergelassenen Ärzte, ÖÄK-Vizepräsident Harald Mayer bzw. ÖÄK-Vizepräsident Edgar Wutscher, die aktuellen Positionen – von Strategien im Kampf gegen den drohenden Ärztemangel, über konsequentes Vorgehen gegen aktuelle Fehlentwicklungen bis hin zur „Gesundheitsarmut“, die neben der „Energiearmut“ schon bald Realität werden könnte.
Steinhart, der auf eine jahrelange Expertise im Gesundheitssystem und Erfahrung in der Kammerpolitik verweisen kann – unter anderem war er zehn Jahre lang Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte und ist seit Mai 2022 auch Präsident der Wiener Landesärztekammer – betonte, dass ein wichtiger Fokus seiner Amtszeit darauf liege, in der Ärzteschaft Gemeinsames über Trennendes zu stellen: „Die zuletzt aufgetretenen Risse in der Ärzteschaft müssen geschlossen werden, wir Ärztinnen und Ärzte müssen angesichts der Weggabelungen und der nötigen Entscheidungen, wohin es mit der österreichischen Gesundheitsversorgung geht, stark und geeint auftreten. Nur der Zusammenhalt macht uns zu einem verlässlichen Faktor.“
Als größte Herausforderungen für die nächsten Jahre sieht Steinhart die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Spitalsärztinnen und -ärzten, die Attraktivierung des niedergelassenen Kassenbereichs, die Sicherstellung einer wohnortnahen niederschwelligen Gesundheitsversorgung vor dem Hintergrund einer stetig wachsenden und älter werdenden Bevölkerung und eine deutliche Entlastung der Ärzteschaft von bürokratischen Aufgaben
„Im niedergelassenen Bereich brauchen wir den Beginn einer neuen Zeitrechnung inklusive einer völlig neuen Herangehensweise. Ärztinnen und Ärzte, aber auch die Versicherten, brauchen ein stabiles, leistungsfähiges System, das den herausragenden Leistungen der Ärzteschaft – nicht nur während der Pandemie – gerecht wird“, forderte der ÖÄK-Präsident. „Die Versorgung, die niedergelassene Ärztinnen und Ärzte in Österreich leisten können, ist auf Champions-League-Niveau, aber wenn das System und die Rahmenbedingungen nur Bezirksligaformat haben, werden wir international nicht bestehen können. Das beginnt bereits bei der Vereinheitlichung der angebotenen Leistungen – es kann im 21. Jahrhundert nicht sein, dass die Straßenseite oder das Bundesland wo ich wohne, über die Qualität meiner medizinischen Versorgung entscheidet.“
Gleichzeitig übte Steinhart Kritik an der mit viel Aufwand neu geschaffenen Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) – diese müsse endlich beginnen, österreichweit zu denken: „Von unserer Seite liegt seit fast zwei Jahren ein fertiger, einheitlicher Leistungskatalog bereit. Dieser muss unverzüglich umgesetzt werden.“
Gute Ausbildung als Mittel gegen den Ärztemangel
Harald Mayer, Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte, betonte: „Die Ausbildung ist unseren Jungärztinnen und -ärzten enorm wichtig. Wenn sie sehen, dass sie in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern keine Top-Ausbildung erhalten, sind sie weg. Und wenn sie erfahren müssen, dass bereits genehmigte Ausbildungsstellen von den Krankenhausträgern mangels fehlender Dienstposten erst gar nicht besetzt werden, wie es derzeit der Fall ist, ist das der zweite Turbo für eine Reise ohne Rückkehr. In der Schweiz und in Deutschland, aber auch in Skandinavien, werden sie mit offenen Armen empfangen. Wir müssen Ausbildung ernst nehmen!“ Dazu gehöre auch, an jeder Abteilung, an der ausgebildet wird, die Stelle eines Ausbildungsoberarztes zu besetzen.
Um dem drohenden Ärztemangel zu begegnen und den Arztberuf generell attraktiver zu machen, gebe es sehr wohl Strategien, die bereits wiederholt von der Bundeskurie der angestellten Ärzte skizziert wurden und bei deren Umsetzung die Ärztekammer bereits ihre volle Unterstützung signalisiert hat: „Das führt von der Verbesserung der generellen Arbeitsbedingungen im Spital durch die Besetzung offener Dienststellen und leistungsgerechte Entlohnung, die auch international standhält, bis hin zur Steuerung von Patientenströmen für die Entlastung der Ambulanzen durch den Ausbau des niedergelassenen Bereichs. Aber auch durch die hundertprozentige Einhaltung des KA-AZG ohne versteckte Überstunden und zeitgemäße Karriere- und Aufstiegsmöglichkeiten sowie Teilzeitmodelle, um Familie, Freizeit und Beruf besser in Einklang zu bringen“, fasste Mayer die wichtigsten Faktoren zusammen.
Weg von der Fünf-Minuten-Medizin
Für den niedergelassenen Bereich forderte Bundeskurienobmann Edgar Wutscher nötige Investitionen – etwa in die Gesprächsmedizin: „Psychosomatische Krankheiten und Beschwerden nehmen immer mehr zu. Es muss jene Zeit ermöglicht und honoriert werden, die die Ärztin oder der Arzt für das Gespräch und das Zuhören und Beraten braucht. Aber diese Zeit muss auch vergütet werden. Ein zeitgemäßes Entlohnungssystem würde die ‚Fünf-Minuten-Medizin‘ verhindern und bedeutet optimale medizinische Versorgung. Weiters raubt die Überfrachtung mit bürokratischen Aufgaben sehr viel Zeit, die wir für unsere Patientinnen und Patienten bräuchten. Hier ist eine deutliche Entlastung dringend nötig.“
Es müsse der niedergelassenen Ärzteschaft möglich gemacht werden, die Patientinnen und Patienten so zu behandeln, wie es dem Selbstverständnis als Ärztin oder Arzt entspreche. „Wir stehen jetzt an einem ganz entscheidenden Zeitpunkt in der heimischen Gesundheitspolitik. Der niedergelassene Bereich kommt immer stärker unter Druck. Auf der einen Seite gibt es bürokratische Hürden, Deckelungen und drohende Einsparungen, auf der anderen Seite werden die Lücken in der kassenärztlichen Versorgung immer größer. Anstatt hier die logische Verbindung zustande zu bringen, dass eines das andere bedingt, haben wir in den vergangenen Monaten einen ganzen Köcher an katastrophalen Vorschlägen präsentiert bekommen – von Zwangsverpflichtungen bis hin zur Abschaffung des Wahlarztbereiches“, fasste Wutscher zusammen.
Freier Arztberuf und Wertschätzung
Abschließend betonte die ÖÄK-Spitze unisono, dass es neben den strukturellen Veränderungen auch sozialpolitische im Umgang mit Ärztinnen und Ärzten bedürfe – allen voran das Bekenntnis zum freien Arztberuf: „Das ist ein hohes Gut und hat gesamtgesellschaftliche Bedeutung“, unterstrich Steinhart. „Leider ist unsere Freiberuflichkeit vielfach bedroht: durch Kommerzialisierung, Konzernisierung, Bürokratisierung und staatliche Gängelung. Unsere ärztliche Diagnose- und Behandlungsfreiheit darf durch nichts eingeschränkt werden. Es darf nicht dazu kommen, dass wir Ärztinnen und Ärzte dazu gezwungen werden gegen besseres Wissen und Gewissen zu handeln.“ Gleichzeitig mahnten Steinhart, Mayer und Wutscher mehr gesellschaftliche Wertschätzung für den Arztberuf ein.