Die Österreichische Ärztekammer hat heute im Rahmen des 147. Ärztekammertages eine Resolution zu den bevorstehenden Finanzausgleichsverhandlungen mit konkreten Verbesserungsmaßnahmen beschlossen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Vollversammlung der Österreichischen Ärztekammer – gewählte Länderpräsidenten und die Vertreterinnen und Vertreter der angestellten und niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte aus den Bundesländern, die gemeinsam für die Interessen der fast 48.000 österreichischen Ärztinnen und Ärzte stehen – bekennen sich zu einem strukturierten und partnerschaftlichen Diskurs mit den Vertreterinnen und Vertretern des Bundes und der Länder für konstruktive Lösungen in der Gesundheitsversorgung, als Teil der aktuellen Verhandlungen der 15a Vereinbarung.
Die Resolution im Wortlaut:
Wir Ärztinnen und Ärzte wissen durch täglich rund 300.000 Patientenkontakte in den Ordinationen (nur E-Card-Konsultationen) und fast 50.000 in den Spitälern (ambulant und stationär) um die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten wie sonst niemand im Gesundheitssystem Bescheid und werden unsere Erfahrungen gerne lösungsorientiert in die Diskussion einbringen. Es geht uns um nachhaltige und zukunftssichere Lösungen für die medizinische Versorgung. Es ist uns wichtig, dass die Gesundheit unserer Patientinnen und Patienten erhalten bleibt. Es ist uns wichtig, dass Patientinnen und Patienten sowohl im niedergelassenen als auch angestellten Bereich genügend top ausgebildete Ärztinnen und Ärzte als Ansprechpartner haben. Es ist uns wichtig, dass Patientinnen und Patienten an den fachlich und medizinisch geeigneten Ort nach besten wissenschaftlichen und ärztlich ethischen Prinzipien behandelt werden. Es ist uns wichtig, dass die Digitalisierung zum Nutzen der Ärztinnen und Ärzte rasch in das tägliche Arbeiten einfließt und es ist uns wichtig, dass die Verantwortlichkeiten in der Finanzierung des Gesundheitswesens klar geregelt werden.
Die Österreichische Ärztekammer bekennt sich zu folgenden Lösungsansätzen für die Zukunft unseres Gesundheitssystems und fordert die politisch Verantwortlichen zur raschen Umsetzung auf:
Prävention und Vorsorge
- Es muss dringend in mehr Patienteninformation und Patientenaufklärung investiert werden, um das nötige Bewusstsein für Prävention, Eigenverantwortung und den stufenweisen Aufbau der Versorgungsstrukturen in der Bevölkerung zu schaffen.
- Anreizsystem: Bonus für Absolvierung der angebotenen Vorsorge-Programme
- Präventionsmedizin & Gesundheitsförderung müssen massiv ausgebaut werden:
- Impf- und Vorsorgeprogramme (z.B. Darmkrebsvorsorge, Diabetes-Vorsorge uvm.) müssen ausgebaut und zu 100 Prozent finanziert werden.
- Einrichtung einer zertifizierten Gesundheits-App
- Verbesserung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung, zum Beispiel im Rahmen von gesundheitspädagogischen Maßnahmen in Kindergarten und Schule (z.B. Gesunde Jause, tägliche Turnstunde, Med4school).
- Einführung eines Jugendpasses
- Psychosoziale Gesundheit und Suizidprävention braucht höheren Stellenwert
Patientenlenkung: Niedergelassen-ambulant vor spitalsambulant vor stationär
Um die Patienten sinnvoll und effizient durch das Gesundheitssystem zu lenken, müssen die dafür notwendigen Strukturen bereitgestellt werden. Dies erreicht man:
- Durch massiven Ausbau und Attraktivierung der Kassenstellen (mindestens 1.300 neue Kassenstellen)
- Durch Kassenverträge für alle Sonderfächer zur Verbesserung des Angebots für die Versicherten
- Durch Weiterentwicklung des Honorarsystems, Stärkung der Gesprächsmedizin, Schaffung von Leistungsanreizen, etwa durch die Abschaffung von Deckelungen und Degressionen
- Durch Flexibilisierung der Kassenverträge und bedarfsorientierte Weiterentwicklung des Vertragssystems
- Durch massiven Ausbau und Finanzierung von Bereitschaftsdiensten, um eine flächendeckende 24/7-Versorgung im extramuralen Bereich gewährleisten zu können (z.B. auch durch Telemedizin, Funkdienst, Telefon)
- Durch Errichtung und Finanzierung von zusätzlichen Versorgungseinheiten vor Spitälern
- Durch mehr Hausapotheken und Dispensierrecht für alle Ärztinnen und Ärzte in allen Bundesländern. Vorrang der Medikamentenversorgung im Ballungsraum durch Apotheken, im ländlichen Raum durch Ärztinnen und Ärzte
- Durch neue Zusammenarbeitsformen für Ärztinnen und Ärzte im niedergelassenen/Spitals-Bereich, beispielsweise durch sinnvolle gemeinsame Nutzung von Großgeräten
Seit der Einführung der E-Card im Jahr 2005 fehlt ein wirksames Mittel zur Patientensteuerung. Zur Entlastung der aktuellen Strukturen und damit des Gesundheitssystems ist eine verpflichtende Patientenlenkung dringend notwendig. Voraussetzungen sind ein massiver Ausbau der Versorgung durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte und eine klare Information der Patientinnen und Patienten über den Weg durch das System. Dazu bedarf es aber auch Konsequenzen bei Nichteinhaltung der vorgesehenen Versorgungspyramide und des vorgegebenen Versorgungspfades, der in einem gemeinsamen Diskurs von den Verantwortlichen im Gesundheitssystem – Ärzte, Pflege, ÖGK, Träger und Politik – entwickelt werden muss.
- Der Weg des Patienten muss klar sein. Folgende Reihenfolge hat zu gelten: niedergelassen - ambulant (auch digital) - spitalsambulant - stationär
- Kein Eintritt in die Spitalsambulanz ohne Überweisung, die Steuerung erfolgt über die E-Card – ausgenommen Notfälle.
- Programmierung der E-Card im Sinne des Status quo ante (Kranken- schein für AA und FA mit dementsprechenden Limits)
- Medizinischer Erstanlaufkontakt muss die Ärztin, der Arzt sein. Die Form ist dabei flexibel und zum Beispiel telemedizinisch oder physisch möglich.
- Auch die Sozialversicherung ist gefordert, wirksame Lenkungssysteme einzuführen
Digitalisierung
- Zur Unterstützung der medizinischen Tätigkeit sind Investitionen in benutzerfreundliche, digitale Systeme notwendig:
- Verbesserung und Finanzierung der digitalen Schnittstellen zwischen intra- und extramuralem Bereich
- Anwenderfreundlichkeit der Programme muss im Vordergrund stehen
- Zertifizierte Gesundheits-Apps und DiGA für Patientinnen und Patienten
- Optimierung der digitalen Kommunikation zwischen Ärztin/Arzt und Patientin/Patient
- Definition klarer rechtlicher Rahmenbedingungen für Telemedizin
- Schaffung der Auswertungsmöglichkeiten von Gesundheitsdaten für rein wissenschaftliche Zwecke bei garantierter Datensicherheit und ethischer Prüfung
- Förderung strukturierter Dateneingabe und Verwendung unter Berücksichtigung kompatibler Diagnosecodierungssysteme wie SNOMED CT
Finanzierung
Das österreichische Gesundheitssystem zeichnet sich durch eine komplexe Finanzierung aus. Klarere Verantwortlichkeiten sind notwendig und bedingen eine Entflechtung der Finanzierungsströme. Die Österreichische Ärztekammer schlägt daher eine Finanzierung des gesamten ambulanten Bereichs vor. Das heißt: Alle Leistungen im niedergelassenen Bereich und der Leistungen in den Spitalsambulanzen werden durch die Sozialversicherung finanziert. Im Gegensatz sind die Spitalskosten – also der gesamte stationäre Bereich – von den Ländern zu tragen. Diese Vorgangsweise bedeutet eine klare Verantwortung und Nachvollziehbarkeit für die jeweilige Finanzierung.
Berufsbild und Berufsbedingungen
Strukturelle Maßnahmen sind in unserem Gesundheitssystem unzweifelhaft erforderlich. Verbesserungen der Arbeits- und Ausbildungsbedingungen der Leistungserbringer sind aber von mindestens gleicher Bedeutung.
1. Ausbildung
- Investition in postpromotionelle ärztliche Ausbildung. Hier müssen ausreichende Zeitressourcen ermöglicht werden, z.B. durch flächendeckende Installierung von Ausbildungsoberärzten in jeder Abteilung im Spital, in der ausgebildet wird.
- Strukturierte Ausbildung durch medizinisch-didaktisch geschulte Fachärzte
- Verbindliche Zeitkontingente für Ausbildung, sowohl für ausbildende Fachärzte als auch für Ärzte in Ausbildung
2. Flexibilität
- Lebensphasengerechte Arbeitszeitmodelle für Spitalsärzte und Kassenvertragsärzte, z.B. durch ein alters- und belastungsadäquates Nachtdienstmodell; steuerbegünstigte Teilzeit-Modelle für Ärzte im Pensionsalter zu Ausbildungszwecken
3. Arbeitsalltag
- Zeit für Patienten
- Rückführung der „verdichteten Arbeitsbedingungen“