Inhalt der Verschwiegenheitspflicht sind alle Geheimnisse, also nicht bereits allseits bekannte Umstände, die der Ärztin bzw. dem Arzt ausschließlich im Rahmen seiner Berufsausübung zugänglich werden. Das sind natürlich primär Gesundheitsdaten, können aber auch wirtschaftliche oder sonstige höchstpersönliche Daten sein.
Widerrechtliche Verletzungen der Verschwiegenheitspflicht können bei vorsätzlicher Begehung strafrechtliche Folgen nach sich ziehen (§ 121 Strafgesetzbuch – Verletzung von Berufsgeheimnissen). Auch bei „lediglich“ fahrlässiger Begehung können zivilrechtliche Schadenersatzansprüche des Patienten resultieren, wenn dieser Nachteile erleidet.
Davon unabhängig sind bei Nichtbeachtung bestehender rechtskonformer Dienstanweisungen arbeitsrechtliche Folgen zu gewärtigen, die insbesondere bei vorsätzlicher Verletzung bis hin zu einer Entlassung gehen können.
Der Krankenanstaltenträger hat den Schutz der Patientendaten zu gewährleisten. Ihn treffen dazu die organisationsrechtlichen Verpflichtungen, denn der Krankenhausaufnahme- und Behandlungsvertrag besteht zwischen dem Patienten und der Krankenanstalt.
Unter welchen Voraussetzungen und bejahendenfalls welche konkreten Mitarbeiter organisationsrechtlich – und somit unter Einhaltung des Dienstweges – Patientendaten „nach außen“ geben dürfen, etwa bei Datenanfrage für ein gerichtliches Strafverfahren, ist vom Krankenanstaltenträger klar zu regeln. Keinesfalls dürfen Gesundheitsdaten ohne entsprechend sichere Verschlüsselung per e-mail versandt werden.
Für eine Anfrage von Polizei, Staatsanwaltschaft oder Gericht ist zu beachten:
- Da die Gewährung von Einsicht in Patientendaten entsprechend zu dokumentieren ist, ergibt sich ebenso wie zur Legitimation der anfragenden Stelle die Notwendigkeit einer schriftlichen Anfrage.
- Die Anfrage sollte unter Angabe des Aktenzeichens, der Verdachtstatbestände und des Zeitraums und Inhalts der einzuholenden Dokumentation erfolgen. Denn gesetzlich ist festgelegt, dass nur die für die Wahrheitsfindung in einem Strafverfahren „unbedingt erforderlichen“ Daten von der Verschwiegenheitspflicht ausgenommen sind. So können z.B. für ein Strafverfahren wegen des Verdachtes auf Einbruchsdiebstahl Daten der Behandlung einer Schnittverletzung im mutmaßlichen Tatzeitraum zur Wahrheitsfindung „unbedingt erforderlich“ sein, nicht aber viele Behandlungsdaten in zeitlich und/oder inhaltlich anderem Zusammenhang.
- Im gerichtlichen Strafverfahren, also bei Klärung eines Verdachtes nach dem Strafgesetzbuch (StGB) oder anderen strafgerichtlichen Tatbeständen, besteht für Ärztinnen und Ärzte gemäß Strafprozessordnung (StPO) kein Aussageverweigerungsrecht – ausgenommen sind jedoch Ärztinnen und Ärzte des Sonderfaches Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin!
- Wer im Organisationssystem der Krankenanstalt bzw. der Abteilung über das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Datenherausgabe entscheidet und wer diese konkret herausgeben darf, ist organisationsrechtlich vom Dienstgeber klar zu regeln.
- Die Entscheidung von Fragen im Zusammenhang mit der Verschwiegenheit ist der Verwaltung bzw. Rechtsabteilung der Krankenanstalt zu überantworten, wenn rechtliche Tatbestandsabgrenzungen oder Beurteilungen dabei relevant sind. Die Entscheidungsverantwortung für – je nach Sachverhalt u.U. durchaus komplexe - Rechtsfragen in diesem Zusammenhang kann naturgemäß nicht den Ärztinnen und Ärzten auferlegt werden.
Das Tiroler Krankenanstaltengesetz (TirKAG) enthält nähere Bestimmungen zur Verschwiegenheitspflicht, die für Ärztinnen und Ärzte aber weitgehend überlagert sind, da bereits das Berufsrecht (ÄrzteG) eine entsprechende Pflicht auferlegt. Jenseits der berufsrechtlichen Bestimmungen normiert § 14 Abs. 4 TirKAG: „Die in einer Krankenanstalt tätigen Personen können gegenüber Dritten im Einzelfall Auskunft darüber erteilen, ob ein Patient in die Krankenanstalt aufgenommen ist und wo er angetroffen werden kann, sofern der Patient eine solche Auskunftserteilung nicht untersagt hat.“
Die Verschwiegenheitspflicht gilt grundsätzlich auch zwischen Ärztinnen und Ärzten untereinander, soweit nicht im Sinne einer dokumentierten Behandlungsnotwendigkeit in Zusammenarbeit mehrerer Ärztinnen und Ärzte bzw. mehrerer Sonderfächer eine stillschweigende Zustimmung des Patienten anzunehmen ist.
Besondere praktische Bedeutung kommt der Durchbrechung der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht bei Verdacht auf bestimmte schwere Straftaten nach § 54 ÄrzteG zu. Der Arzt ist zur unverzüglichen Anzeige an die Kriminalpolizei oder die Staatsanwaltschaft verpflichtet, wenn sich in Ausübung der beruflichen Tätigkeit der begründete Verdacht ergibt, dass durch eine gerichtlich strafbare Handlung
- der Tod, eine schwere Körperverletzung oder eine Vergewaltigung herbeigeführt wurde,
- Kinder oder Jugendliche misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht werden oder worden sind oder
- nicht handlungs- oder entscheidungsfähige oder wegen Gebrechlichkeit, Krankheit oder einer geistigen Behinderung wehrlose Volljährige misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht werden oder worden sind.
Eine Pflicht zur Anzeige besteht nicht, wenn
- die Anzeige dem ausdrücklichen Willen der volljährigen handlungs- oder entscheidungsfähigen Patientin/des volljährigen handlungs- oder entscheidungsfähigen Patienten widersprechen würde, sofern keine unmittelbare Gefahr für diese/diesen oder eine andere Person besteht und die klinisch-forensischen Spuren ärztlich gesichert sind, oder
- die Anzeige im konkreten Fall die berufliche Tätigkeit beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit eines persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf, sofern nicht eine unmittelbare Gefahr für diese oder eine andere Person besteht, oder
- der Arzt, der seine berufliche Tätigkeit im Dienstverhältnis ausübt, eine entsprechende Meldung an den Dienstgeber erstattet hat und durch diesen eine Anzeige an die Kriminalpolizei oder die Staatsanwaltschaft erfolgt ist.
Bei Verdacht auf Misshandlung, Quälen, Vernachlässigung oder sexuellen Missbrauch von Kindern bzw. Jugendlichen kann die Anzeige unterbleiben, wenn sich der Verdacht gegen einen Angehörigen (§ 72 StGB) richtet, sofern dies das Wohl des Kindes oder Jugendlichen erfordert und eine Mitteilung an die Kinder- und Jugendhilfeträger und gegebenenfalls eine Einbeziehung einer Kinderschutzeinrichtung an einer Krankenanstalt erfolgt. In den Fällen einer vorsätzlich begangenen schweren Körperverletzung hat der Arzt auf bestehende Opferschutzeinrichtungen hinzuweisen.
Während der Tod einer Person rein medizinisch beurteilt werden kann, ist die schwere Körperverletzung ein juristischer Fachbegriff.
Die schwere Körperverletzung grenzt sich von der sogenannten leichten Köperverletzung folgendermaßen ab: Eine schwere Körperverletzung ist dann gegeben, wenn die Tat eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung oder eine Berufsunfähigkeit zur Folge hat, oder die Tat an sich schwer ist. An sich schwer ist eine Körperverletzung dann, wenn ein wichtiges Organ oder Körperteil betroffen und der Heilungsverlauf ungewiss ist. Als schwer wurde von der Judikatur eingestuft: Brüche großer Knochen, Verlust von Zähnen, Knochenabsprengung eines Halswirbels kleinsten Umfangs, Gehirnerschütterung mit Bewusstlosigkeit und retrograder Amnesie, Verlust der Zeugungsfähigkeit, et cetera. In Zweifelsfällen ist es ratsam, mit Juristen, zum Beispiel jenen der Rechtsabteilung der Ärztekammer für Tirol, Rücksprache zu halten.
Bei Anzeigepflicht sind „Aufzeichnungen über den Verdacht begründende Wahrnehmungen zu führen“ und ist den Sicherheitsbehörden hierüber Auskunft zu erteilen. Beweismittel sind für eine spätere Auswertung in gesicherter Zuordnung nachhaltig aufzubewahren. Wiederum ist es Sache des Dienstgebers, organisationsrechtlich klare Zuständigkeiten zu definieren und diese Leistungen auch ressourcenseitig entsprechend zu gewährleisten.